Von der Nachbarschaft zum Gemeindedualismus am Beispiel von Igis

oder:
Hier Bürgergemeinde - da Politische Gemeinde

Unter dem Begriff „Gemeinde" verstand man im alten Freistaat der Drei Bünde die Gerichtsgemeinden, die 1851 durch die Annahme des Gesetzes über die Einteilung des Kantons Graubünden zu den Kreisen wurden. So entstand auch aus dem Hochgericht der Fünf Dörfer der Kreis Fünf Dörfer. Der Kreis mit dem falschen Namen, er bestand ja aus sieben Dörfern, nämlich Haldenstein, Trimmis, Says, Untervaz, Zizers, Igis und Mastrils, hatte nur noch richterliche Kompetenzen. Alle andern Aufgaben, die nicht durch die Verfassung dem Kanton übertragen wurden, hatten nun die autonomen „Dörfer" als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zu meistern. Sie wurden in der neuen Kantonsverfassung von 1854 neu als Gemeinden bezeichnet. Zuvor nannte man sie rechtlich „Nachbarschaften", und die Bewohner der Nachbarschaften waren die „Nachbarn". Die alteingesessenen Nachbarn nannten sich Bürger", die „Zugezogenen" waren die „Beisässen". Beisässen oder auch „Hintersässen" waren Dorfbewohner ohne Bürgerrecht, die keinen oder nur geringen Anteil an den politischen Rechten und kein Nutzungsrecht an den Gemeindegütern hatten.

Diese Gemeinden waren ab 1854 noch weitere 20 Jahre lang

die Bürgergemeinden

die das gesamte Gemeindeeigentum besassen und es auch nutzten. Dieser Zustand konnte nicht befriedigen. Er widersprach auch der Bundesverfassung von 1848. Diese hatte die Niederlassungsfreiheit garantiert. So gab es in den Gemeinden immer mehr Niedergelassene, die zwar alle Lasten zu tragen, aber kein Mitspracherecht hatten.

Die Revision des kantonalen Gesetzes über die Niederlassung von Schweizerbürgern vom 1. September 1874 schaffte dann den Niedergelassenen in den Gemeinden neu Rechte und Pflichten. Sie kamen in den Mitgenuss an allen politischen, kirchlichen und schulischen Einrichtungen der Gemeinde, wurden aber verpflichtet alle Steuern und Lasten gleich den Bürgern zu tragen. Steuern durften allerdings erst dann auferlegt werden, wenn die Erträge des Gemeindevermögens zur Deckung der Gemeindebedürfnisse nicht ausreichten.

Die niedergelassenen Schweizerbürger erhielten das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten politischer Natur und in allgemeinen Verwaltungsfragen. Sie waren aber vom Stimmrecht ausgeschlossen in Bezug auf Aufnahme ins Bürgerrecht, auf Fragen, die das Armengut, die ausgeteilten Gemeindelöser und den Verkauf von Gemeindeeigentum betrafen. Damit waren

die politischen Gemeinden

als Einwohnergemeinden entstanden. Dem neuen Gesetz hatten in der Volksabstimmung vom 1. Februar 1874 die Bündner mit 6553 Ja gegen 3037 Nein zugestimmt. In Igis befürworteten von 108 Stimmberechtigten deren 67 die Vorlage, einer war dagegen.

Die Gemeinden hatten sich nun neu zu organisieren. Die verschiedenen Protokolle der Einwohnergemeindeversammlungen ab 30. August 1874 bezeugen, wie dies in Igis geschehen ist.