Bürgergemeinde Landquart
Unterdorfstrasse 8
7206 Igis
Telefon 081 322 96 86
E-Mail info@bglandquart.ch
Büroöffnungszeiten: Donnerstag 16.00 - 18.00
Unter dem Begriff „Gemeinde" verstand man im alten Freistaat der Drei Bünde die Gerichtsgemeinden, die 1851 durch die Annahme des Gesetzes über die Einteilung des Kantons Graubünden zu den Kreisen wurden. So entstand auch aus dem Hochgericht der Fünf Dörfer der Kreis Fünf Dörfer. Der Kreis mit dem falschen Namen, er bestand ja aus sieben Dörfern, nämlich Haldenstein, Trimmis, Says, Untervaz, Zizers, Igis und Mastrils, hatte nur noch richterliche Kompetenzen. Alle andern Aufgaben, die nicht durch die Verfassung dem Kanton übertragen wurden, hatten nun die autonomen „Dörfer" als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zu meistern. Sie wurden in der neuen Kantonsverfassung von 1854 neu als Gemeinden bezeichnet. Zuvor nannte man sie rechtlich „Nachbarschaften", und die Bewohner der Nachbarschaften waren die „Nachbarn". Die alteingesessenen Nachbarn nannten sich Bürger", die „Zugezogenen" waren die „Beisässen". Beisässen oder auch „Hintersässen" waren Dorfbewohner ohne Bürgerrecht, die keinen oder nur geringen Anteil an den politischen Rechten und kein Nutzungsrecht an den Gemeindegütern hatten.
Diese Gemeinden waren ab 1854 noch weitere 20 Jahre lang
die Bürgergemeinden
die das gesamte Gemeindeeigentum besassen und es auch nutzten. Dieser Zustand konnte nicht befriedigen. Er widersprach auch der Bundesverfassung von 1848. Diese hatte die Niederlassungsfreiheit garantiert. So gab es in den Gemeinden immer mehr Niedergelassene, die zwar alle Lasten zu tragen, aber kein Mitspracherecht hatten.
Die Revision des kantonalen Gesetzes über die Niederlassung von Schweizerbürgern vom 1. September 1874 schaffte dann den Niedergelassenen in den Gemeinden neu Rechte und Pflichten. Sie kamen in den Mitgenuss an allen politischen, kirchlichen und schulischen Einrichtungen der Gemeinde, wurden aber verpflichtet alle Steuern und Lasten gleich den Bürgern zu tragen. Steuern durften allerdings erst dann auferlegt werden, wenn die Erträge des Gemeindevermögens zur Deckung der Gemeindebedürfnisse nicht ausreichten.
Die niedergelassenen Schweizerbürger erhielten das Stimmrecht in Gemeindeangelegenheiten politischer Natur und in allgemeinen Verwaltungsfragen. Sie waren aber vom Stimmrecht ausgeschlossen in Bezug auf Aufnahme ins Bürgerrecht, auf Fragen, die das Armengut, die ausgeteilten Gemeindelöser und den Verkauf von Gemeindeeigentum betrafen. Damit waren
die politischen Gemeinden
als Einwohnergemeinden entstanden. Dem neuen Gesetz hatten in der Volksabstimmung vom 1. Februar 1874 die Bündner mit 6553 Ja gegen 3037 Nein zugestimmt. In Igis befürworteten von 108 Stimmberechtigten deren 67 die Vorlage, einer war dagegen.
Die Gemeinden hatten sich nun neu zu organisieren. Die verschiedenen Protokolle der Einwohnergemeindeversammlungen ab 30. August 1874 bezeugen, wie dies in Igis geschehen ist.
In Folge des am ersten September 1874 in Kraft tretende Niederlassungsgesetzes wurde auf Anordnung des hochlöbl. Vorstandes die stimmberechtigten Einwohner zu einer Versammlung eingeladen, um eine Verfassungskommission (Verfassungsrath) zu bestimmen.
In erster Linie wurden zwei Stimmenzähler bezeichnet. Als Obige wurden bezeichnet die Herren Am. J.B. Sutter und Hauptm. A. Spiess.
1. Wurde beschlossen, dass in diesen Verfassungsrath sieben Mitglieder gewählt werden und 2 Supleanten.
Anwesend 99 Votanten.
Gewählt nachfolgende Herren.
I.ten Pfarrer M. Thürr. II.ten Major A. Henggeler. III.ten Hauptm. A. Spiess. IIII.ten Hr. Am. Heinrich. V.ten Hr. Am. Jos.Barfuss. VI.ten Hr. R.Rath Fr. Wassali. VII.ten Hr. Am. J.B. Sutter.
Als Supleanten die Herren I.ten Hr. Lehrer Andr. Jost u. Hr. Verwalter Ruedi.
Den Präsidenten hat die Kommission unter sich zu wählen.
Ferner wurde beschlossen, dass die Gemeindegeschäfte vom bisherigen Gemeinderath behandelt werden, bis der genannte Verfassungsrath die neue Verfassung gemacht und von der Gemeinde genehmigt wurde.
Für die Ausarbeitung der neuen Verfassung liess man sich Zeit. Ohne grosse Diskussion stimmte schliesslich die Gemeindeversammlung vom 20. Juni 1875 den 25 Verfassungsartikeln zu.
Die bürgerlichen Angelegenheiten waren im Art. 22 geregelt: Die Bürgergemeinde besorgt ihre rein bürgerlichen Angelegenheiten selbst und bestellt hiefür eine besondere Verwaltung." Schwierigkeiten entstanden nur beim Abschluss der Jahresrechnung 1874. Aber auch bei deren Behandlung wurden an der Versammlung vom 20. Juni 1875 die Anträge des Vorstandes gutgeheissen: ... 2. Ein Vorschlag vom Gemeinderath dahin gehend, betreffend Regelung der Gemeinderechnung pro 1874, so dass der Niedergelassene vom ersten Februar bis 1. Septbr. mit dem Niederlassungsgeld wie bis dato belassen werde und der Bürger das betreffende Trattgeld zu beziehen habe, wurde gutgeheissen resp. angenommen.
Zum Bürgergemeindepräsidenten wurde in der gleichen Versammlung Ammann Joseph Barfuss gewählt.
Allerdings waren schon seit anfangs 1875 die Gemeindeversammlungen getrennt durchgeführt worden. Beide Versammlungen wurden vom Gemeindeammann Kaspar Heinrich geführt. Bis in Kraftsetzung der neuen Verfassung tagte die Bürgergemeinde viermal, die Einwohnergemeinde oder politische Gemeinde fünfmal. Der Begriff "Politische Gemeinde" verwendete man in Igis vor 1874 für die Zusammenkunft, an der die kantonalen oder eidgenössischen Wahlen durchgeführt wurden.
Trotz der neuen Gemeindeverfassung von 1875 waren die Kompetenzen der politischen, resp. der Bürgergemeinde nicht klar geregelt. Der Grund lag wohl darin, dass die neue Gemeindeverfassung noch nicht die genauen Aufgabenbeschreibung kannte und die Abgrenzung zur Bürgergemeinde nicht über die revidierten Bestimmungen des kantonalen Niederlassungsgesetzes hinaus gingen. Einzig Art. 12 der Gemeindeverfassung besagte: "Er (der Gemeinderat) besorgt theils von sich aus, theils durch seine Unterbeamten unter seiner Aufsicht die gesammte Gemeindeverwaltung und überdies das Armenwesen, soweit es nicht Sache der Bürgergemeinde ist." Es scheint, dass bei der Behandlung unangenehmer Geschäfte beide Gemeinden über diese Unsicherheit recht froh gewesen waren. Der "schwarze Peter" wurde dann gerne dem andern zugeschoben. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen.
Am 4. April 1876 stellte die Bürgerin Frau Dorothe Hegnauer dem Gemeinderat das Gesuch, er möge ihrem Sohn Mathé eine Reiseentschädigung von Fr. 200.- bezahlen, weil er beabsichtigt, nach Australien auszuwandern. Im Protokoll dieser Sitzung steht: "Hierüber wurde beschlossen der Gemeinderath sei nicht ermächtigt obigem Anrufen zu entsprechen und dieser Gegenstand der Gemeinde vorzulegen." Frau Hegnauer gelangte deshalb mit dem gleichen Begehren an die Bürgergemeinde. Am 13. April 1876 behandelte diese das Gesuch:
" ...1. Wurde der Bürgergemeinde eine Petition vorgelegt, ab Seite des Mathäus Hegnauer dahingehend, es möchte die Bürgergemeinde genanntem Petenten einen Baarvorschuss von Fr. 200.- gewähren, damit er auf 19. April d.J. nach Australien auswandern könne. Obige Petition wurde abgewiesen, weil die Bürgergemeinde in Folge des neuen bündn. Niederlassungsgesetzes sich von allen bisherigen Geldnahmen entblösst sieht und nur auf dem direkten Steuerwege ihre rein bürgerlichen Ausgaben zu bestreiten veranlasst ist."